Seelenliebe Blog # 6
Hospiz – ein Ort der Liebe, des Lebens und des Todes
Was haben Grillkohle und Bodylotion gemeinsam? Ich verrate es euch.
Ich durfte heute Morgen einen besonderen Ort besuchen. Ich habe mich auf den Termin gefreut und war gleichzeitig nervös, aufgeregt und etwas unsicher. Was wird mich erwarten? Welche Bilder werde ich in meinem Herzen abspeichern?
Ich folgte meinem Gefühl, dass es dennoch ein guter Termin wird. Kurzum: Ich durfte ein Hospiz besuchen, das Hospiz „Lebenszeit“ in Leisnig. Und auch wenn ich es noch nie gesehen habe, irgendwie kam es mir ein kleines Stück vertraut vor. In den letzten 4 Jahren habe ich einige Trauerfeiern begleitet, wo das Hospiz das letzte zu Hause der Verstorbenen war. Und als ich heute durch den Garten schlenderte, war ich plötzlich so berührt. Ich sah bunt bemalte Steine mit liebevollen Botschaften der Angehörigen für die Verstorbenen. Als ich bekannte Namen auf den Steinen las, überfuhr mich Gänsehaut und Bilder stöberten durch meinen Kopf.
Hey, Oma Gitte, du warst die wundervollste und coolste Oma, die es gab. Ich sehe mich noch an deinem Teich im Garten sitzen, das zarte Plätschern des Wassers und deine Lieben im Gespräch – schwärmend, lachend, weinend, verzweifelt und vor allem traurig. Und doch so unglaublich dankbar. Ich hatte damals das Gefühl, das Türchen geht gleich auf und du kommst mit einem Tablett, gefüllt mit Kuchen und Kaffee. Du kamst leider nicht. Gern hätte ich dich kennengelernt. Und heute sah ich deinen Gedenkstein.
Hinter so vielen Steinen sah ich die Bilder und Geschichten der Menschen. Wer sie waren, was sie erlebt und durchgemacht haben, wie sie gekämpft und gelitten haben und welche wunderbaren Menschen an ihrer Seite waren. Und nicht zu vergessen, was sie hinterlassen haben. Licht, Liebe, Botschaften, Werte.
Doch drehen wir die Uhr auf heute Morgen 9 Uhr. Susann Thoma, Mitbegründerin des Vereins Lebenszeit e.V. und Gesicht des Hospizes empfing mich mit einem warmen, freundlichen Lachen und Jarko, dem Familien- und Hospizhund an ihrer Seite. Die wollige Knuffelnase stupste mich an und freute sich sichtbar über Besuch. Wie ein Kuscheltier, so knuffig war er. Ich musste ihn streicheln und mit meinen Fingern sein wolliges Fell spüren.
Wir schlendern über den Gang, begrüßen gut gelaunte Mitarbeiter und freudestrahlende ehrenamtliche Mitarbeiter. Frau W. z.B., die dem Hospiz treu geblieben ist. Sie verlor hier ihren Mann und möchte nun Gutes tun und den Menschen Freude schenken. Sie ist eine der guten Seelen, die sich mit Herz einbringt und gern vorbeikommt, hilft und einfach da ist.
Der helle großzügig gestaltete Aufenthaltsbereich mit vielen gemütlichen Ruhezonen und Sitzecken lädt ein zu gemeinsamen Mahlzeiten und Aktivitäten. Ein Klavier, eine TV- und Musikanlage und ein Aquarium runden das Raumkonzept ab. Und ein Schallplattenspieler, unglaublich viele Platten stehen da. Gitarre und Akkordeon – ja, Musik ist wichtig. Musik verbindet, lässt träumen, lenkt ab und lädt zum Singen ein. Schöne Momente schaffen – wie wichtig und wertvoll.
Vor jedem Gästezimmer steht ein kleines Tischchen, liebevoll mit persönlichen Dingen drapiert. Auf dem Tisch einer jungen Frau steht ein Andrea Berg Bild. Sie liebt sie und ihre Musik. Auf einem anderen eine silberne Figur eines Handballspielers. Wahrscheinlich wohnt hier ein Sportler oder Handball-Fan. Wunderschöne Bilder verzieren die Wände. Es duftet gut, es ist freundlich hell und einladend herzlich gestaltet. Foyer, Gang und Aufenthaltsbereich sind kunstvoll ausstaffiert durch die Bilderausstellung des bekannten Leisniger Malers, Diplom-Restaurators Mathias Steude und verleihen dem Innenraum des Hospizes einen Hauch von Heimat, Wärme und Harmonie. Man könnte meinen, man ist in einer Pension daheim. Und nicht an einem Ort des Sterbens.
Wir gehen in den Garten. Wow. Wie schön. Ich bekomme eigentlich Lust zu bleiben und mich mit einem Buch in die Sonne zu setzen. Das Plätschern des Bachlaufs erinnert an den Teich von Oma Gitte, wo ich neulich erst war. Übrigens Oma Gitte hatte eine verrückte Geschichte. Ihr Schreibtisch, an dem sie jahrelang im Büro saß war später der Platz, wo ihr Bett im Hospiz stand. Ihr früherer Betrieb wurde abgerissen und war auf dem heutigen Gelände des Hospizes. Verrückt, oder. Der Kreis des Lebens schließt sich manchmal auf seltsame Weise.
Doch zurück in den Garten: es duftet nach Blumen, die letzten Sommer-Sonne-Strahlen wärmen uns, überall Stauden, Grün, Summen an der Bienenweide, Bänke und Stühle. Die Parkanlage mit seinem idyllischen Ambiente und seiner naturverbundenen Gestaltung lädt zum Verweilen und Entspannen ein. Sie bietet neben rollstuhlgerechten Wegen mit verschiedenen Sitzbereichen eine Feuerstelle, eine Beeren-Nasch-Strecke, einen kleinen Kinderspielplatz mit Sandkasten sowie einen Teich. Ein kleiner Bachlauf symbolisiert den “Fluss der Erinnerung”. Bei einem monatlichen Ritual wird hier durch das Niederlegen von verzierten Steinen durch Angehörige und die Mitarbeiter des Hospizes der Verstorbenen gedacht.
Ich atme Demut ein, bin überwältigt von dem liebevollen Engagement und den wundervollen Ideen. Susann schwärmt von Grill- und Musikfesten, wo sich alle wie in einer Familie fühlen: Mitarbeiter, Kinder, Angehörige und Gäste. So werden übrigens die Menschen genannt, die hier ihr letztes zu Hause finden. Unser Weg führt uns in “Raum der Stille”, der einlädt zum Rückzug, zum Innehalten, Beten, Meditieren oder zum Führen unterstützender Gespräche. Wir plaudern hier ganz entspannt mit Kaffee und Wasser und über das Leben und den Tod. Über Mut, Kraft, Loslassen, Verzeihen, Liebe, Leid, Sterbehilfe und tausend andere Dinge. Über Seelen, Universum, Spiritualität und Hoffnung. Ich fühle mich wohl, die Spuren von Unbehaglichkeit sind verflogen, die Angst genommen.
Mein letzter Blick fällt auf den Schaukasten am Eingang des Hauses. Ein Plakat für den Spendenlauf thront drinnen. Eine sportliche Veranstaltung in der Stadt, die den Hospizverein Lebenszeit e.V. unterstützt. Jede Runde zählt, egal, ob jung oder alt. Egal ob 1,2 oder 3 Runden. Lauft, Rennt oder geht mit uns. Für jede absolvierte Laufrunde im Stadion der Stadt gehen 50 Cent an den Verein. Wow – was für eine tolle Aktion. Sport und Leben für den Tod. Seit 7 Jahren ist der Spendenlauf fester Termin im Veranstaltungskalender der Stadt Leisnig. Auch Corona kann die Leisniger nicht daran hindern, Gutes zu tun!
Jarko, der Hospizhund begleitet mich noch einmal in den Garten. Ich darf noch ein paar Minuten allein hier verweilen. Es ist ein Geschenk, gesund am Leben zu sein. Das sind meine ersten Gedanken. Und dass es so einen wichtigen und wertvollen Ort gibt, der das Sterben würdevoll macht, der Leben in den Tod bringt und gleichzeitig versucht, den Tod ins Leben zu bringen. Es ist ein Ort, der mich mit meiner eigenen Sterblichkeit in Verbindung bringt, der gleichzeitig Angst macht und sie nimmt. Ein Ort der Stille, des Schmerzes und auch des Lachens. Ein Ort der Erinnerungen, der Dankbarkeit und der Demut. Ich weiß aus den vielen Trauergesprächen wie dankbar die Angehörigen den Mitarbeitern des Hospizes sind. Sie sprechen voller Wertschätzung und Respekt von der Arbeit und den Menschen, die so viel leisten. Es ist so unglaublich wichtig, dass es einen warmherzigen Ort wie diesen gibt.
Ich weiß, dass viele Menschen sich scheuen, darüber nachzudenken wie und wo sie sterben wollen. Dass dieses Thema lange vor sich hergeschoben wird, ist fast normal. Und doch: das Leben wartet leider nicht immer. Manchmal ist es gnadenlos und reißt uns raus, aus unserem schönen Miteinander, weg von lieben Menschen und raus aus dem puren Leben mit all seinen Wünschen, Hoffnungen und Träumen. Zu oft zerplatzen diese wie Seifenblasen, wenn uns eine heimtückische, nicht mehr heilbare Krankheit heimsucht. Und dann? Müssen wir Hals über Kopf überlegen, wohin uns unsere Reise führt und vor allem wie und wo wir diese Reise beenden.
Mit einem Lächeln und einer wehmütigen Mini-Träne in den Augen verlasse ich den Garten. Hinter dem Lächeln verbirgt sich die Demut, dass ich da bin auf dieser schönen Welt. Dass meine kleine Welt wunderschön ist und privilegiert – ohne Krieg, Hunger und Not. Mir geht es verdammt gut. Wir sollten viel mehr in Dankbarkeit schwelgen. Und nicht im Konsum und uns in Fragen verrennen „Was habe ich nicht?“. Und da ist eben dieses Mini-Tränchen, weil ich an die Menschen denke, die ich verloren habe und immer in meinem Herzen trage werde.
Dieser Ort hat so viel mit mir gemacht. Ich wünschte, ich könnte öfter hingehen, um im Garten der Erinnerungen dem Bewusstsein zu lauschen, um sich auf die wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. Was ist wichtig im Leben? Wer ist wichtig?
Ich fahre vom Hof. Zum Rewe und kaufe ein: Grillkohle, Grillanzünder, Bodylotion, Körperöl, Servietten, Taschentuchboxen, Badezusatz. Alles Dinge, die im Schaukasten an der „Wünsche-Wand“ standen. Morgen werde ich einen Korb packen und im Hospiz abgeben, mit den kleinen Wünschen. Die Herzenswünsche kann ich nicht erfüllen. Dass wir die Menschen nicht verlieren, die wir lieben, dass das Loslassen leicht gelingt, dass der Schmerz uns nicht die Luft zum Atmen wegnimmt. Ich kann so vieles nicht. Doch vielleicht ein kleines Lächeln zaubern. Das wäre wundervoll. Und vielleicht sehen wir uns im Herbst oder in der Weihnachtszeit wieder zu einem Geschichtennachmittag oder ähnlichem.
Dieser Vormittag hat mich sehr berührt.
Danke Susann Thoma. Danke an das ganze Team des Hospizes Lebenszeit. Danke an all die wundervollen Menschen da draußen, die tagtäglich im Palliativdienst Gutes tun. Ihr alle bringt so viel Licht, Wärme und Fürsorge in die Welt. Ihr baut auf, kämpft mit, zaubert ein Lächeln, streichelt nicht nur Hände, sondern auch die Seelen der Menschen.
Ihr alle seid wundervoll. Danke, dass es euch gibt.
Mit herzlichen und berührten Grüßen
Anje Heinz
Webseite: anje-heinz.de
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Telefon: 0160. 99 29 28 11